Wortschöpfung: Kerngeschlechtsidentität

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Wortschöpfung: Kerngeschlechtsidentität

Beitrag von Freeyourgender » 13 Jul 2019, 20:02

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) setzt sich auch für LSBTI-Themen ein,
in einer Studie von 2011 über Analysen der Förderung im Globalen Süden und Osten,
ist im Glosar ein interessanter Textabschnitt zu finden, die Definition von "trans*"

Bild

Quelle:
https://www.institut-fuer-menschenrecht ... in-entwic/

Der Text stammt aus dem Jahr 2011. Es ist der Versuch zu erkennen, dass der Begriff transsexuell
eine Besonderheit einnehmen soll und näher an geschlechtsangleichende Operationen gerückt wird,
als andere Begriffe wie Transgender, Transident.

Im Text zeigen sich etliche Probleme der "Nichtdefintion". Genau dadurch ist keine strukturelle
Entwicklung im Trans-Diskurs möglich.

Konkrete Probleme in diesem Text sind:

Transsexuelle, Transidente, Transgender, Transvestiten werden in einen Topf geworfen
Im einleitenden Satz werden unter dem Begriff Trans* nicht nur Transsexuelle mit Transidenten und Transgendern gleichgestellt,
sondern sogar Transvestiten mit zu dieser Gruppe genommen, die sich nicht mit ihrem Geschlecht identifizieren würden,
dass ihnen qua Geburt und Geburtsregister anhand ihres Genitals behördlich zugewiesen wurde.
Das Transvestiten kein körperliches Problem haben, sollte den Autor_innen doch bekannt sein und somit auf keinen
Fall irgend etwas mit Transsexuellen zu tun haben. Auch sind Transvestiten keine Transgender oder Transidente,
die für sich selbst kein genuines körperliches Problem haben, sondern Geschlecht auf der Ebene ihres Verhaltens in der Gesellschaft verhandeln. Transvestiten erleben ihr gegensätzliches eigenes Geschlecht weder im körperlichen Sinne, noch im Sinne der Identität,
sondern sie wechseln die Geschlechterrolle über die Kleidung und Aussehen auf der Ebene einer Spielart. Transvestiten und Travestie
sind begrifflich sehr eng verknüpft. Wenn also der Begriff Trans* für die 4 genannten Begriffe steht, ist das natürlich fatal, wenn es darum geht, deren Bedürfnisse durch politische Unterstützung in Form von gesetzlicher Stärkung ihre Rechte zu fördern.
Wie soll das gehen? Ich kann nicht mindestens 3 grundverschiedene Dinge, Transsexuelle zum einen, Transidente und Transgender
zum anderen und letztlich Transvestiten gleichermaßen betrachten.

Im nächsten Teil der Definition werden die Begriffe "Frau-zu-Mann-Transsexuelle" und "Mann-zu-Frau-Transsexuelle" angeführt,
als Synonym für Transmänner und Transfrauen. Diese alten "zu-"Begriffe suggerieren, als könnte ein Geschlecht gewechselt werden,
sie sind genauso falsch, wie der Begriff Geschlechtsumwandlung. Ein Geschlecht wird nicht gewechselt, sondern es geht darum
anzuerkennen, dass ein Geschlecht nicht mit Genitalien allein definiert werden kann. Es geht darum anzuerkennen, dass
Menschen, die als "von-zu" eingeordnet werden, schon immer richtig waren, nur ein gegengeschlechtliches Genital besitzen.
Wir müssen daher lernen, uns Frauen mit Penis und Männer mit Vulva, Vagina vorstellen zu können. Inwieweit diese Menschen
dann eine Genitaloperation benötigen oder nicht, ist wieder ein völlig anderes Thema.

Im nächsten Teil der Definition wird ausgeführt, dass einige Transsexuelle diese "von-zu"-Definition ablehnen würden,
und es wird den Leser_innen dann mitgeteilt, dass diese Transsexuellen dann als Begründung ausführen,
dass diese Wortschöpfungen nicht die "eigentliche angeborene Geschlechtsidentität" als geschlechtsbestimmend respektieren.
Und hier sind wir im Kern des Problems: Die selbstbestimmte Geschlechtsaussage ist also "nur eine Identität".
Eine Identität ist aber kein Geschlecht im körperlichen Sinne. Es ist das Geschlechtsempfinden, was durch neurobiologische
Anlagen (physischer - nicht psychischer) Gegebenheiten, die pränatal angelegt werden, ensteht. Die Identität ist die Folge
dieser Anlagen, sie entsteht durch die Orientierung meines inneren Gefühles in der Gesellschaft. Sie entsteht, wenn ich
in der Gesellschaft den für mich richtigen Definitionspunkt gefunden habe. Dann sage ich: Ich bin dies oder jenes.
Die Aussage, ich bin dies oder jenes, also die Identität ist aber nicht das Geschlecht, sondern die Folge meines genuinen,
angeborenen Geschlechts, was im Gehirn physisch verortet ist. Dieses Geschlecht wird im Text als "eigentliche angeborene
Geschlechtsidentität" umschrieben. Es fehlt also die Basis, die Aussage, auf was diese Identität begründet ist. Wenn diese Basis
fehlt, bleiben die erwähnten Geschlechter immer auf der sozialen Ebene, können nie die körperliche Ebene innerhalb des
Diskurses erreichen, wie es im Falle der Intersexualität stattfindet. Transsexualität ist aber zweifelsohne eine Form der Intersexualität.

Als weitere Stilblüte wird noch eine Wortschöpfung eingeführt, die diese Form der Intersexualität beschreibt:
"Kerngeschlechtsidentität". Nein - auch keine Kerngeschlechtsidentität - gar keine Identität. Die kognitive Ebene, die Identität,
ist die Folge der körperlichen Gegebenheit. Das muss auch so benannt werden. Auch wenn der Zusatz "Kern" erahnen lässt,
dass es hier tiefer gehen soll. Die Wortschöpfung bleibt aber hilflos wieder auf der Identitätsebene. KerngeschlechtsIDENTITÄT.

Der letzte Teil der Trans*-Definition beschreibt dann Trans*Personen, die mit sich kein körperliches Problem haben, sondern
das Thema auf ihrer Verhaltens- und sexuellen Ebene verhandeln.

Es ist nichts Neues, dass Trans nicht auf der biologischen Ebene betrachtet wird, aber es ist immer wieder wichtig zu sehen,
wie Definitionen lauten, denn diese Definitionen legen offen, wo der Diskurs steht.

Solange Transsexualität nicht auf der Ebene der Intersexualität verhandelt wird, wird sie immer psychisch und pathologisch
eingeordnet, ob ich mit meiner Transsexualität ein psychisches oder sogar pathologisches Problem habe, ist aber ein ganz
eigenes, von meiner Geburtssituation unabhängiges Thema und dabei spielen viele weitere Faktoren eine Rolle. Wir sehen ja auch,
das es Intersexuelle gibt, die mit ihrer Gegebenheit kein Problem haben, diese bejahen. Genau dies zeigt auf,
dass Transsexualität und Intersexualität nicht in allen Fällen, nicht per se ein Problem darstellen müssen.

Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Angeborenensein, und dem, was diese angeborene Gegebenheit mit den Menschen
macht. Eine Frau mit nur einem X-Chromosom ist durch ihr Angeborenensein nicht automatisch krank. Sie wird eventuell dadurch
krank, weil sie einen großen Kinderwunsch hat, den sie deshalb nicht erfüllt bekommt.
Eine angeborene Transsexualität kann also, wenn wir den Begriff nicht nur für diese Fälle verwenden wollen, die psychische
und pathologische Problematiken mit ihrem Körper entwickeln, auch Menschen beschreiben, die mit ihrer Transsexualität
ohne Probleme in Harmonie leben. Diese Fälle werden im aktuellen Diskurs als Transgender, als Transidente verhandelt,
weil sie meist keine Operationen benötigen, sondern nur ihre Geschlechterrolle anpassen, soweit sie dies möchten.
Wir können aber ohne Risiko sagen, dass es auch eine Ursache hat, Transgender oder Transident zu sein, und diese
Ursache liegt genau wie bei Transsexuellen in der pränatalen Anlage der entsprechenden Gehirnaspekte. Wir könnten daher
sagen, dass es sich bei Transgender und Transidenten um diejenigen Transsexuellen handelt, die weitestgehend ohne
starke psychische Probleme auskommen, da sie die Fähigkeit entwickeln können, ihre Transsexualität mit ihrem gegensätzlichen
Genital zu leben. Ich halte es daher für zielführend, den Begriff Transsexualität nicht nur für diejenigen Personen zu verwenden,
die eine körperliche Angleichung benötigen, um sich zu harmonisieren, sondern auch für die, die sehr gut mit ihrer jetzigen
Gegebenheit klarkommen. Damit würden 2 Dinge erreicht: Der Begriff Transsexualität wäre nicht automatisch ein Synonym für psychische
Probleme, die meist mit einem Wunsch nach körperliche Veränderung einhergehen, sondern würde auch diejenigen Fälle
beinhalten, die einfachere Lösungen leben können. Auch die beinhalten, die jetzt Transgender, Transident genannt werden.

Es muss der Begriff Transsexualität erweitert werden. Es muss festgehalten werden, dass ein variantes Geschlecht angeboren ist.
Es muss gesehen werden, dass die Folge dieser Varianz verschieden sein kann, genauso verschieden, wie die individuellen
Aspekte des Gehirns dieser verschiedenen Menschen jeweils verschieden ausgeprägt wurde. Die Verschiedenheit dieser Folge
sehen wir in den verschiedenen Bewältigungsstrategien, die wir in Begriffe wie Transgender, Transident usw. einordnen.

Im Moment haben wir im Diskurs aber nicht diese Betrachtungsweise, sondern wir Betrachten die Folge ohne die Ursache zu
benennen. Dabei verlieren diejenigen Trans*Personen völlig ihre Basis, die wir heute als Transsexuelle kennen, die sehr starke
persönliche, psychische Probleme mit ihrem Körper haben. Denn diese werden allein durch die Begrifflichkeiten rein auf die
psychische Ebene gesetzt. Die Erzählung, das Narrativ ist dann: Die TS hat psychische Probleme, weil sie denkt, sie wäre das
gegensätzliche Geschlecht. Der Mann hat psychische Probleme, ist krank, weil er sich einbildet, er wäre eine Frau.
Von diesem Narrativ kommen wir nur weg, wenn wir sagen können: Diese Frau hat psychische Probleme, weil sie einen Penis hat.
Und für Transgender und Transidente, die keine OP benötigen: Diese Frau hat einen Penis und keine psychischen Probleme.
Durch diese Definition bildet sich alles logisch und richtig ab. Wenn wir diesen Gedanken weiterdenken, könnten auch
Transvestiten und DWT unter Trans* aufgelistet sein, als eigene Variante der Bewältigungsstrategie ihrer Transsexualität.
Sie dürfen dann auch Trans* sein, aber nur wenn wir mitgeben, dass ihr Verhalten angeboren ist, und dass sie diese Varianz
auf diese eigene Art harmonisieren. Mit dieser Definition bleiben Transsexuelle in ihrer Definition unberührt.
Nur in der jetzigen Definition werden sie, weil die Ursache des Angeborenenseins weggelassen wird, mit der jetzigen Definition
von Transgender und Transidente, die ihr geschlechtliches Erleben durch ihr neurobiologische Gegebenheiten auf der sozialen
Ebene verhandeln, vermengt. Dadurch wird das körperliche Dilemma von Transsexuellen völlig verleugnet und ausgeblendet.

Eine Identität ist kein Geschlecht. Auch der hilflose Versuch den Begriff Identität aufzublasen mit "Kerngeschlechtsidentität" führt zu nichts.
Ein Geschlecht ist angeboren. Ein Geschlecht ist unabhängig von Genitalien. Eigentlich so einfach.



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