1.2.19 Gebäcktörtchen gegen das Patriarchat

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JasminRheinhessen
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1.2.19 Gebäcktörtchen gegen das Patriarchat

Beitrag von JasminRheinhessen » 20 Dez 2016, 16:32

"Im Land der Männer unverstanden,
sind meine weiblichen Gedanken,
nein unverstanden ist zu milde,
verschmäht wird es, mein Frauenbilde.

Geh ich zu Frauen dann, um sie zu schützen,
zu retten und zu stützen,
hegen Sie gegen mich Verdacht,
ich würd` gehör' n zur Männermacht."

Marleen führte Ihre Pinzette fest im Lack des Tisches,
gerade als Sie fertig war, mit dem Hineinritzen des Wortes "Männermacht",
hörte Sie Mirabell rufen:

"Marleen, was treibst Du denn schon wieder?",
Mirabell steuerte auf den Gebäckautomaten am Ende des Flurs zu,
in der Absicht, das Frühstück mit Anne etwas mit Kuchen aufzuwerten.

"Nichts weiter, wollte mir nur noch ein Törtchen sichern,
bevor das Zimmer 22 hier alles abräumt",
scherzte Marleen, wollte harmlos wirken,
aber ihre Gesichtsmimik wollte gar nicht zu ihrem Scherz passen.

"Hast Du schon wieder einen Tisch zerritzt? Hoffe, dass kein Personal jetzt gerade vorbeikommt,
Du weißt, sonst verlegen Sie Dich in ein Einzelzimmer.",
bemerkte Mirabell, als Sie das Gedicht auf dem kleinen Tisch sah,
dass neben dem Gebäckautomaten stand, und der zu einer kleinen Sitzgruppe gehörte,
die aber am Ende des Flures keine Gemütlichkeit in den Patiententrakt zu zaubern vermochte.

"Ich liege schon mein ganzes Leben auf einem Einzelzimmer.",
gab Marleen zu verstehen, diesmal passte ihre Aussage besser zu ihrem Gesicht,
dass so verbittert aussah, dass auch Kuchen aus 10 Gebäckautomaten daran nichts ändern würden.

"Ja - die Männerwelt, sie fordert patriarchales Verhalten,
wer nicht mitspielt, wird ausgegrenzt",
kommentierte Mirabell Marleen`s Gedichtzeilen auf der Tischplatte.

"Ich hab das erst nicht so richtig wahrgenommen, wusste nur, dass etwas nicht stimmte",
fuhr Marleen fort.
"Am schlimmsten war es, als ich Soldat werden musste, zwei Jahre dienen, Wehrpflicht für Männer.
Nur weil ich ein männliches Genital habe, musste ich diesen abscheulichen Dienst ableisten,
wie ich fühle, denke, wer ich bin, darauf wurde nicht geachtet, nur auf mein Genital,
mein Penis sorgt ständig für meine Fremdbestimmung.
Wenn ich Frauen kennenlerne, behandeln sie mich als Mann, von dem sie etwas bestimmtes
erwarten, ich soll möglichst Geld haben, groß und stark sein, intelligent sein,
mich durchsetzen können, wenn ich schon keine männlichen Schuhe anziehe, schöpfen sie Verdacht,
dann denken sie bereits, das ist kein richtiger Mann, und halten Abstand,
denken, dass ich nicht autoritär bin, sie nicht verteidigen kann, wenn es ernst wird."
Marleen sprach in sehr gedrücktem Ton, einem Ton, der keine Hoffnung mehr zuließ.

"Ich will nicht so sein, wie die Männer! Ich möchte lieb sein, zart und sinnlich, wie Frauen!
Wenn ich das bin, werde ich von Männern verstossen, ausgelacht, und von Frauen nicht ernst genommen.
Beim Einkaufen, an der Ladentheke, werde ich von Frauen anders behandelt, als wenn ich eine Frau wäre.
Besonders von Frauen, die von Männern mißhandelt wurden, werde ich schlecht behandelt,
bekomme deren Reaktionen ab, nur weil ich ein Mann bin,"
schüttete Marleen weiter ihr Herz aus.

"Ja Marleen, ich verstehe das alles, es ist das Patriarchat, unter dem Du leidest."
tröstete Mirabell.

"Ich habe dem Psychiater gesagt, dass ich eine Frau bin, einen weiblichen Körper haben möchte,
eine Operation, das stimmt nicht Mirabell, ich will nur ein Mann sein, der es in dieser Männerwelt aushält.
Ich flüchte mich in diese Frauenrolle, Marleen ist keine Frau, sie ist ein sehr weiblicher Mann,
ein Mann, mit männlichem Körper, der seinen Körper liebt, aber der wie eine Frau behandelt werden möchte,
verstehst Du?", Marleen hob den Kopf und schaute Mirabell an, die in der Zwischenzeit ihr gegenübersaß,
und sie nicht aus den Augen ließ.

"Ja, und viele Frauen, die sich operieren lassen, sagen zu Dir, dass Du ein Fetischist wärst.
Weil Du ja keine Probleme mit Deinem Körper hast.", Mirabell drückte den Knopf des Gebäckautomaten,
er begann sich zu drehen und das summende Geräusch unterbrach etwas die Tristess des Augenblicks.

"Aber was soll ich anderes machen? Für mich ist es unerträglich in dieser Männerwelt,
als Mann abgestraft zu werden, von genau den Frauen, die ich so liebe, die ich unterstützen möchte,
mit ihnen sein will, zu ihrer Gruppe gehören. Ich leide schon, wenn ich in einem Bad in die
Männerdusche gehen soll. Das ist für mich Horror. Ich gehöre da nicht hin."
Marleen schaute nun auch auf die drehende Auslage im Gebäckautomat und wurde ein wenig abgelenkt.

"Ja, ich weiß Marleen, ich denke, dass Du ein eher weibliches Gehirn hast, Du brauchst zwar keine
Angleichung Deines Körpers, aber von Deinem Gehirn her bist Du weiblichen Geschlechts, das in der Männerwelt,
in der Du als Mann ständig wirken sollst, ausgegrenzt wird, das macht Dich unendlich unglücklich und traurig.
Du wirst von den Männern verschmäht und von den Frauen als Mann gelesen, Du bist unsichtbar.
Und hier im Trakt gibt es einige Frauen, die Dich als Fetischisten bezeichnen.
Für mich bist Du eine Frau Marleen, denn Genitalien machen nicht das Geschlecht!"
Mirabell hatte in der Zwischenzeit ein kleines Tortenstückchen aus dem Automaten evakuiert,
und hielt es Marleen unter die Nase.

"Riech mal, Sahne-Schoko mit Kirsche und Eierlikör. Ist das nicht lecker?",
versuchte Mirabell Marleen aufzumuntern.

"Ja sehr", und Marleen öffnete ihren Mund, damit Mirabell ihr ein kleines Stück
verabreichen konnte, wie Medizin, die sofort wirkt.

"Mirabell, warum sind nicht alle so wie Du? Warum verstehst Du mich, und andere nicht?",
begann Marleen zu fragen, während sie das Stück noch im Mund hatte.

"Schau, die anderen haben auch ihre Komplexe, Verdrängungen, müssen ihre Identität abgrenzen,
definieren, und da kommst Du einfach zwischen die Räder, zwischen die Fronten.
Du fällst aus allen Schubläden, Kategorien. Und wirst von denjenigen bekämpft,
für die Du eine Gefahr bist. Patriarchalen Männern nimmst Du ihre Autorität, wenn sie dich gutfinden sollen,
für bestimmte feministische Frauen bist Du das Feindbild, weil sie in Genitalien denken,
und nicht nach dem eigentlichen, dem Gehirn, und für viele Frauen, die eine Operation für sich brauchen,
bist Du keine Frau, auch wenn Du hier auf dem gleichen Trakt im 5. Stock einquartiert wurdest,
weil sie sagen, dass Du keine Operation für Dich brauchst, Deinen Penis behalten willst,
also nennen sie Dich Fetischist, pervers, oder irgendwas, was sie, das meinen sie zumindest,
dann davor schützt, dass sie selbst als Fetischist bezeichnet werden.

Für diese Frauen bist Du ein Mensch, der soziale Probleme hat, aber keine körperlichen.
Für mich bist Du vom Gehirn her eine Frau. Mehr Frau geht gar nicht.
Und ich bin sicher, dass Du das noch nicht einmal selbst für Dich realisiert hast."
Mirabell steckte sich jetzt auch ein großes Stück Törtchen in den Mund,
nachdem Sie ihren längeren Vortrag beendet hatte, genoss sichtlich das zu große Tortenstück
in ihrem Mund und verdrehte Ihre Augen, während ihr Mund ein Kußmund formte,
und ihre Backen wie Hamsterbacken das Tortenstück umschlossen.
"Mmmh", echt lecker diese Törtchen, warum gibts sowas nicht zum Frühstück?"
Versuchte Mirabell die Stimmung zu heben.

"Du bist wundervoll Mirabell, ja Du hast sicher recht, ich bin eine Frau,
fühle mich aber mit meinem Körper wohl,
ich muss lernen, dass ich für viele unsichtbar bleibe,
ich werde das schaffen, versprochen,
solange ich noch einige Menschen finde, die mich verstehen, wie Du!"
Marleen war jetzt wieder in munterer Verfassung.

"Das klingt fabelhaft Marleen, natürlich wirst Du noch jede Menge Menschen finden,
die Dich verstehen."
Mirabell drückte Marleen noch ein Stück Törtchen in den Mund.
"So, mein Schleckermäulchen, ich muss zurück zu Anne,
Ihr ihr Törtchen hier noch bringen, sonst verhungert Sie!."
scherzte Mirabell, stand auf und machte sich auf den Weg,
den Flur zurück zur Zimmertür 22.

"Danke Mirabell, richte Ihr einen Gruß von mir aus.",
rief ihr Marleen nach.

"Ja mach ich, und achte auf Deine Linie, Du weißt, doch,
Frauen nehmen gerne schnell zu."

Mirabell freute sich, dass die Welt so etwas wundervolles
wie Gebäcktörtchen erfunden hat,
die beste Medizin für alle Lebenslagen,
dabei ihre Gedanken für ein paar Sekunden verdrängen könnend,
wie ohnmächtig Sie sich gegenüber der Gesellschaft fühlt,
sich sichtbar machen zu können.
Dass Mirabell nur eine kleine Verständnisinsel auf dem weiten Meer ist,
auf dem Meer der Unverständnis,
war ihr trotzdem ein wichtiger Trost,
besonders wenn diese Insel einen wunderschönen Strand hat,
bei herrlichem Wetter, blauem Himmel und sanftem Wind.
Ja Mirabell wärmt sie, gibt ihr Hoffnung und ihrem Frausein die Vision,
dass es dafür einen Raum auf dieser Welt gibt.



weiter mit Kapitel 1.2.20
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